Reto Aschwanden wieder Weltmeister für Schachkomposition!

Schon zum zweiten Mal nach 2001-03 ist der Schweizer Kompositions-IM Reto Aschwanden in der Periode 2004-06 Weltmeister geworden. Schwang er vor drei Jahren noch in der Abteilung Märchenschach obenaus, konnte er sich diesmal bei den Retros durchsetzen. Nicht schlecht für einen, dessen erstes Hobby Klettern ist ...

In Retros (kurz für "retroanalytische Probleme") muss der Löser aus der Diagrammstellung Rückschlüsse auf die Partie ziehen, welche zu ihr geführt hat.

Siegerpodeste aller Abteilungen

Medaillenverteilung anlässlich der Herbstversammlung der Schweizerischen Vereinigung der Kunstschachfreunde (SVKSF):
Medaillenverteilung
v.l.n.r.: Klaus Wenda (Wien, Ehrengast an der Herbstversammlung, 3. in der Kategorie Märchenschach), Odette Vollenweider (Präsidentin SVKSF), Reto Aschwanden (Sieger Kategorie Retros)

Medaillentisch am Treffen der PCCC in Jūrmala (Lettland) im Jahr 2008:
Medaille


Retos Retros

Für die Teilnahme in einer Abteilung der Kompositionsweltmeisterschaft sendet ein Autor höchstens 6 Probleme ein, die von drei Richtern benotet werden. Die vier Aufgaben mit den höchsten Noten kommen in die Wertung.

Sehen Sie hier die 6 Aufgaben aus Reto Aschwandens Eisendung. Es handelt sich allesamt um sogenannte Beweispartien. Weiss und Schwarz helfen einander, in der angegebenen Zügezahl aus der Partieanfangsstellung die Diagrammstellung zu erreichen. Während in anderen Retro-Formen bloss partielle Informationen gefunden werden (z.B. ob ein Bauer soeben einen Doppelschritt gemacht hat und somit en passant geschlagen werden darf), lässt sich in einem Beweispartie-Problem die ganze Partie eindeutig ermitteln.

Die Komposition von Beweispartien hat im letzten Jahrzehnt einen Riesenaufschwung genommen, was vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass viele von ihnen heutzutage mit dem Computer auf Korrektheit überprüft werden können.

Wie bei der Komposition von herkömmlichen Problemen gibt es auch bei den Beweispartien ästhetische Qualitätskriterien, z.B.:

In sämtlichen untenstehenden Problemen sind die Züge der einen Partei jeweils einigermassen klar (und der Spielraum dieser Partei stark eingeschränkt), während die andere Partei mit verblüffenden Manövern dafür sorgen muss, dass alles klappt.

Reto Aschwanden
Probleemblad 2004
1. Preis
1
1) Beweispartie in 21.5 Zügen
Die Forderung besagt, dass die Stellung nach dem 22. Zug von Weiss erreicht sein muss.
Die weissen Türme müssen insgesamt 5 Züge ausgeführt haben, um ihre Zielfelder zu erreichen (z.B.nach der Rochade Tf1-g1-g4-h4 und Ta1-g1-g8 oder Tf1-g1-g8 und Ta1-a3-h3-h4); einer dieser Züge muss Tg1-g8 gelautet haben, auch wenn nicht von vornherein klar ist, welcher der beiden Türme ihm ausgeführt hat. Die 17 Züge der anderen weissen Steine sind leicht zu ermitteln (Sg1 hat zweimal gezogen!); Spielraum hat Weiss also keinen.
Dabei müssen auf der g-Line überaus interessante Dinge passiert sein: bevor Tg1-g8 geschah, muss Schwarz den weissen Bauern g2 auf diesem Feld geschlagen und zudem seinen eigenen g-Bauern aus dem Weg geschafft haben. Letzteres ist aber nur möglich, wenn dieser Bauer bis auf die weisse Grundlinie durchmarschiert ist.
Und auch sonst ist das Spiel stark verzahnt: Erst wenn Schwarz den Bb2 weggeräumt hat, geht Lc1-b2-e5 gefolgt von c3. Dann Db1-g6 (das ist der einzige Weg für die Dame) gefolgt von Lf1-d3-g6 und d2-d3. Da zudem der Bf2 warten muss, bis der schwarze f-Bauer nach g2 geschlagen hat, ist die einzige mögliche Eröffnung: 1.a4 f5 2.Ta3 f4 3.Th3 f3 4.Th4 fg2:
Der auf g1 entstehende Offizier muss dringend b2 räumen: 5.Sh3 g1=D 6.f4 Db6 7.Sc3 Db2: 8.Lb2:
Weiss kann jetzt einige Züge spielen, so dass der g-Bauer marschieren kann: 8. - g5 9.Db1 g4 10.Sd1 (dieser Figurenplatzwechsel ist nur eine Dekoration) 10. - g3 11.Le5 g2 12.c3
Der zweite Umwandlungsstein auf g1 wird möglichst schnell auf f3 geopfert: 12. - g1=S 13.Dh7: Sf3+ 14.ef3:
Die restliche Zeit benutzt Schwarz im wesentlichen dazu, Dame und Springer zu opfern. Dass dies ausgerechnet auf demjenigen Feld passieren muss, auf dem Schwarz vorher in Dame und Springer umgewandelt (und die Umwandlungssteine gleich wieder geopfert) hat, trug diesem Problem den Spitzenplatz ein. 14. - Sc6 15.Ld3 Sd4 16.0-0 Se2+ 17.Kh1 Sg1 18.Tg1: c6 19.Tg8: Db6 20.Lg6+ Kd8 21.d3 Dg1+ 22.Sg1:

Reto Aschwanden
StrateGems 2004
1. Preis
2
2) Beweispartie in 20.0 Zügen
Wie das niederländische Probleemblad hat sich die US-amerikanische Zeitschrift StrateGems im Verlauf der letzten Jahre zu einer der Hochburgen für Beweispartien entwickelt.
Die 20 weissen Züge sind im Diagramm sichtbar, also haben die von c2 und g2 stammenden Bauern nie gezogen. Die weisse Dame hat b6 via b3 erreicht, nachdem Schwarz c2 geräumt hat; erst danach konnte der weisse b-Bauer spielen. Sb1-d2-f1 gefolgt von Lc1-d2 geschah, bevor Weiss rochieren konnte - der von h1 stammende Turm kann also e1 nicht erreicht haben und steht somit am Schluss auf c4; erst nach dem Zug Th4-c4 konnten die weissen d- und e-Bauern ziehen und die weisse Stellung deblockieren.
Bei Schwarz sieht die Lage etwas komfortabler aus; zwar zieht Weiss nie so auf die d- bzw. f-Linie, dass sich die dortigen Bauern bequem opfern können; aber diese Bauern haben locker Zeit, sich umzuwandeln und auf dem Weg die weissen Bauern auf c2 und g2 wegzuräumen. Zusammen mit dem Bauernopfer auf b6 und den andern Bauernkurzschritten ergibt das 13 Züge. Es verbleiben also satte 7 Züge, um die beiden Umwandlungssteine zu opfern. Aber wie auch immer man zu spielen versucht: es gelingt nicht; die späten Züge von Weiss sind so angelegt, dass Schwarz auf den Zielfeldern seine Umwandlungssteine nicht opfern kann!
Was hingegen funktioniert, ist der folgende verwegene Plan: Schwarz opfert früh die Dame und den schwarzfeldrigen Läufer. Anschliessend wandelt er die beiden Bauern in Dame und Läufer um und stellt die Umwandlungssteine nach d8 und f8 zurück.
Beachten Sie, wie geschickt das Spiel der weissen und schwarzen Steine verzahnt ist, so dass auch in Stellungen, wo scheinbar mehrere Zugmöglichkeiten zur Verfügung stehen, jeweils nur eine zum Ziel führt! 1.h4 e6 2.h5 Dh4! 3.Th4: d5 4.Tc4 d4 5.e4 d3 6.Le2 dc2: 7.d4 g6 8.Sd2 Lh6! 9.Sf1 Ld2+! 10.Ld2: Der erste Teil wäre geschafft!
10. - c1=L 11.Db3 b6 12.Db6: f5 13.b4 La3 14.b5 Lf8 15.0-0-0 f4 16.Te1 f3 17.Ld1 fg2: 18.Se2 g1=D 19.Kb1 Dg5 20.Sc1 Dd8
Nach einigem Kampf und ziemlich viel Glück gelang mir die bislang thematisch einzigartige [...], die ich als meine beste Beweispartie überhaupt erachte. (Reto Aschwanden, idee & form 2006)

Reto Aschwanden
Thematurnier Messigny 2004
1. Preis
3
3) Beweispartie in 18.0 Zügen
Beweispartien als Problem-Genre wurden vor einem guten Vierteljahrhundert vom französischen Doppelgrossmeister (Komponieren und Lösen) Michel Caillaud erfunden. Dieser war auch Preisrichter des anlässlich des französischen Problemistentreffens durchgeführten Thematurniers; verlangt war, dass im Verlauf der Lösung eine Figur ein Feld verlässt und später dorthin zurückkehrt.
Im Diagramm sind alle 18 schwarzen Züge sichtbar. Darunter sind keine, welche die weissen Bauern auf den Linien d und f beseitigen könnten; diese wandeln sich also um, weshalb Schwarz mit Zügen seiner Bauern auf diesen Linien zuwarten muss, bis dc7: bzw. fg7: passiert ist. Erst wenn der weisse d-Bauer c7 geräumt hat, kann die schwarze Dame via b6 nach b3 ziehen, und erst dann ist b7-b6 möglich.
Die schwarzen Zugmöglichkeiten sind also zu Partieanfang sehr beschränkt, und Weiss muss schnellstmöglich weitere Züge ermöglichen: 1.d4 Sa6 2.d5 Sc5 3.d6 a6 4.dc7: Gerade geschafft!
4. - d5 5.f4 Lh3 6.c8=L Warum die Springerumwandlung nicht geht, sehen wir später. 6. - Db6 7.f5 Db3 8.f6 b6 9.fg7: Wieder genau im richtigen Moment! 9. - f5
10.Lb7! Sf6 11.g8=L! Lh6 Dies ist die Schlüsselstellung dieses Poblems. Wenn Weiss im letzten Zug in Springer umgewandelt hätte, könnte dieser jetzt g8 nicht verlassen, und Schwarz käme nicht zur Rochade. Der einzige Weg, wie Weiss die Rochade ermöglichen kann, ist der Rückzug des Umwandlungsläufers nach c8! 12.Le6 Le3 13.Lec8 0-0
Und wie wird Weiss jetzt die beiden Läufer los? Zunächst kehrt der eine nach g8 zurück: 14.Le6+ Kh8 15.Lg8 Tg8:
Und der andere folgt ihm auf dem Fusse: 16.Lc8 Tg2: 17.Le6 Th2: 18.Lg8 Tg8: Hätte Weiss im 6. Zug in einen Springer umgewandelt (und diesen nach a7 zurückgezogen), könnte dieser am Schluss g8 nicht mehr erreichen.

Reto Aschwanden
Probleemblad 2005
4
4) Beweispartie in exakt 22.0 Zügen
Der Zusatz exakt ist hier notwendig, denn es gibt eine Nebenlösung in 21.5 Zügen!
Abgesehen vom Ta7 sind pro weissen Stein die folgende Anzahl Züge im Diagramm sichtbar: K 4 (weil die Diagonale e1-h4 durch den Bf2 (später g3) immer verstellt war), D 2, Td7 2, L 2+2, B 1+1+1+2; das sind schon mal 17 weisse Züge, und wenn der auf h1 gestartete T noch auf dem Brett steht, muss er wegen des stehen gebliebenen Sg1 einen Umweg von einem Zug eingelegt haben.
Der Ta7 kann nicht durch Umwandlung entstanden sein, denn der umgewandelte Bauer bräuchte 5 Züge zur Umwandlung nach a8 und der T einen weiteren nach a7; zusammen mit dem Umweg des h-T ergäbe das 24 Züge.
Weiss hat also nicht umgewandelt, und seine TT haben zusammen 7 Züge ausgeführt (z.B. Ta1-c1-c8-a8-a7 und Th1-h4-d4-d7).
Wenn man einfach so drauflos spielt (probieren Sie es aus!), erreicht man ziemlich rasch eine Stellung, in welcher Weiss keine Züge mehr hat; die einzige Eröffnung, die Weiss etwas Atem lässt, ist 1.h4 c5 2.h5 c4 3.Th4 c3 4.Tc4, mit der Absicht, den Tc4 nach a7 zu spielen; Schwarz muss Platz machen, hat aber zwei Züge Zeit, Weiss zu einer Fortsetzung zu verhelfen: 4. - a6 5.Tc8: Sc6 6.Ta8: Db8! 7.Ta7 Dg3!
Nach 8.fg3: kann Schwarz daran denken, seine fehlenden Steine durch Umwandlung zu ersetzen, und zwar in der Reihenfolge, die Weiss nach 4 K-Zügen weiterzuspielen erlaubt: 8. - d5 9.Kf2 d4 10.Kf3 d3 11.Kg4 dc2: 12.Kh4 cb1:=L 13.Db3
Jetzt darf der andere B loslegen: 13. - e5 14.Db6 e4 15.b3 e3 16.Lb2 ed2: 17.e3
Und jetzt alles zurück auf die siebte und achte Reihe: 17. - Lf5 18.Ld3 d1=T 19.Lc2 Td8 20.Td1 Ta8 21.La1 Lc8 22.Td7 Sb8
Auf a8 und c8, wo jetzt unschuldig ein T und ein L herumstehen, wurden also die ursprünglichen Steine geschlagen und durch Umwandlungssteine ersetzt.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2005
5
5) Beweispartie in 20.0 Zügen
Die 20 weissen Züge lassen sich mühelos abzählen. Man sieht, dass nie ein weisser Stein einen möglichen Schlagzug auf die a- oder die d-Linie oder nach b2 oder c2 spielt; die von a7 und d7 stammenden schwarzen BB müssen sich also umwandeln und anschliessend opfern oder (unwahrscheinlicher, denn auch die ursprünglichen LL wollen ja geopfert sein) auf die eigene Grundreihe zurückkehren und einen geopferten Stein ersetzen.
Der Doppelbauer auf der g-Linie verrät einen der Schlagorte; auf b1 entsteht ein L (keine Dame wegen Schachs), der sich auf g6 opfert. Der von f2 stammende B darf also nicht zu früh loslaufen, denn sonst steht er der D oder dem geopferten L im Weg.
Deshalb ist der Start ähnlich wie in Aufgabe 4): 1.h4 d5 2.h5 d4 3.Th4 d3 4.Sh3 dc2: Der T muss später den schwarzen e-B schlagen, aber gerade rechtzeitig geht 5.d4 a5 6.Dd2 a4 7.Dg5 a3 8.Le3 c1=L 9.f4 Ld2+ Dass dieses Opfer gerade hier stattfinden muss, ist sehr überraschend. 10.Sd2: ab2: 11.Sf3 b1=L 12.Sh2 Lg6 13.f5 e5 14.fg6:
Der eigentliche Knüller der Aufgabe kommt erst jetzt, wo die Umwandlungsfiguren entsorgt sind: die beiden ursprünglichen Läufer werden ausgerechnet auf den beiden Umwandlungsfeldern geopfert!! Der Mechanismus, welcher die Reihenfolge dieser Züge festgelegt, ist eine technische Meisterleistung: 14. - Lf5 15.0-0-0 Lb1 16.Kb1: e4 17.Te4:+ Kd7 18.g4 La3 19.Lg2 Lc1 20.Tc1: Kc8

Reto Aschwanden
StrateGems 2005
1. Preis
6
6) Beweispartie in 18.0 Zügen
Wieder sind alle 18 schwarzen Züge im Diagramm sichtbar, wenn man berücksichtigt, dass der Sg8 zweimal gezogen hat und dass die Türme 5 Züge gemacht haben, sofern Schwarz rochiert. Ohne Rochade reichen theoretisch 4 Turmzüge, aber zum Preis eines zusätzlichen Königszugs - und vor allem kämen in diesem Fall die schwarze Dame, welche a5 via g5 erreicht haben muss, und der a-Turm nicht aneinander vorbei.
Die am Schluss auf der fünften Reihe stehenden schwarzen Bauern sind lange blockiert. Nach Dg5-a5 kann b7-b5 geschehen; erst dann kommt der Läufer nach e4, um d7-d5 (und Sb8-c6) zu ermöglichen. Und erst wenn ein schwarzer Turm via g8-g5 e5 erreicht hat, ist schliesslich f7-f5 spielbar.
Weiss muss in der ganzen Zeit bloss seine beiden Bauern umwandeln (mit Räumung von a7 und g7) und die entstehenden Offiziere entsorgen. Wenn der b-Bauer aber auf a8 umwandelt, stehen die Mauern a5-b5 und c6-c8 schon wie in der Schlussstellung; weder ein Umwandlungsspringer (wegen des Schachs von b6 aus) noch -läufer könnten diese durchdringen. Nur wenn Weiss auf a8 in Dame umwandelt, kann er diese anschliessend auf c5 opfern. Vorgängig muss er jedoch auf g8 in einen Springer umwandeln und mit diesem auf b8 den schwarzen König vor dem Schach durch die Dame abschirmen:
1.b4 e6 2.b5 Dg5 3.b6 Da5 4.ba7: Für diesen Bauern beginnt das grosse Warten.
4. - b5 5.h4 Lb7 6.h5 Le4 7.h6 Sc6 8.hg7: Sh6 Ja nicht dem zukünftigen weissen Springer den Weg nach b8 versperren!
9.g8=S 0-0-0 Gerade rechtzeitig, um dem Springerschach auszuweichen! 10.Sf6 d5 11.Sd7 Tg8 12.Sb8 Tg5 13.a8=D Te5 14.Da7 f5 15.Dc5 Lc5: Geschafft!
Aber wohin jetzt mit dem Sb8? Die einzige Möglichkeit, ihn loszuwerden, ist seine Rückkehr nach g8! 16.Sd7 Tg8 17.Sf6 Tg5 18.Sg8 Sg8:


Die Diagramme auf dieser Seite wurden produziert mit diagram exchange.